Der Begleiter
Wenn Eltern eigene Kinder haben oder Pädagogen mit Kindern umgehen, kann man in der Regel davon ausgehen, dass sie die Kinder lieben und das Beste für sie wollen. Der Pflegetrieb ist dem Menschen angeboren und wird besonders durch das niedliche Aussehen der kleinen Kinder („Kindchenschema“) angeregt. Die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen ist aber von Anfang an auch von Missverständnissen und Nichtverstehen geprägt, besonders auf Seiten der Erwachsenen.
Wir haben uns die Umwelt im Wesentlichen nach unseren Maßstäben und Bedürfnissen eingerichtet und dabei vergessen, dass Kinder in einer völlig anderen Welt leben. Sie sind dabei keine unfertigen Menschen, sondern nehmen die Welt auf ihre ganz eigene Weise wahr, bewegen sich anders, lernen anders und empfinden auch anders als wir. Kindsein ist ein eigener Seins-Zustand, den wir zwar alle erlebt, aber zu dem wir heute keinen direkten Zugang mehr haben. Deshalb haben wir Erwachsene uns schon seit Menschengedenken zum Ziel gesetzt, Kinder frühzeitig an die Normen und Maßstäbe unserer eigenen Welt anzupassen. Die natürlichen Äußerungen des kindlichen Seins empfinden wir als störend und unpassend. Wir nennen sie unreif und gehen oft mit Gewalt und manchmal mit zweifelhaftem pädagogischen Wissen dagegen an.
Durch intensive Beobachtung der Kinder können wir aber feststellen, dass sie von Anfang an „Baumeister ihres eigenen Lebens“ (Maria Montessori) sind. Sie saugen Unmengen von Informationen aus ihrer Umwelt auf, sortieren sie nach inneren Gesetzmäßigkeiten und wenden sie nach dem Beispiel an, das ihnen die Erwachsenen geben. Ihre wichtigste Triebfeder ist dabei der Wunsch nach Beziehung und Kommunikation mit anderen Menschen. Wir können diesen Prozess entweder durch unsere achtsame Gegenwart unterstützen oder durch unser ständiges Eingreifen empfindlich stören.
Durch das Zusammenleben und Beobachten von Kindern können wir viel über ihre besonderen Entwicklungsbedürfnisse erfahren. Dadurch sind wir in der Lage, eine natürliche, gesunde Umgebung und unterstützendes Lern- und Bewegungsmaterial bereitzustellen, das dem Entwicklungsalter der Kinder entspricht und ihnen vielfältige Informationen über sich und die Welt vermittelt. Außerdem geben wir durch die Art wie wir selbst handeln den Kindern immerzu ein Vorbild, wie man gut leben und sich in die Gemeinschaft einfügen kann.
Sind Menschen aber unbewusst darüber verletzt und verärgert, dass sie in ihrer eigenen Kindheit keine oder zu wenig einfühlsame Begleitung erhalten haben, können sie im Umgang mit den Kindern nicht immer angemessen reagieren. Sie verstricken sich in widersprüchliche Gefühle, fühlen sich von den Ansprüchen der Kinder bedroht und verspüren Ablehnung und Wut in ihrem Inneren. Dabei kann jeder von uns Gefahr laufen, entweder die selbst erlittene Erziehung zu wiederholen oder sich damit zu trösten, dass wir die Kinder mit erdrückender Aufmerksamkeit und materiellen Geschenken zuschütten.
Erst wenn wir als Erwachsene das eigenständige, lebenshungrige aber oftmals auch tief verletzte Kind, das wir einmal waren, kennen gelernt haben, werden wir anfangen, Freude und Kraft aus der Beziehung zu den uns anvertrauten Kindern zu schöpfen. Dann werden wir auch in der Lage sein, die Kinder zu verstehen und zu begleiten ohne sie einzuengen und ihrer schöpferischen Möglichkeiten zu berauben.
In den SpielRaum-Gruppen (Abenteuer- und Mini-SpielRaum) und im Montessori-Raum gestalten wir eine Lernumgebung, die sich an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientiert. Bei ihrem Forschen und Probieren begleiten wir die Kinder in zurückhaltender und respektvoller Weise. Besonders in den Eltern-Kind-Gruppen (Mini-SpielRaum) können auch Eltern wertvolle Anregungen zum achtsamen und beziehungsfördernden Umgang mit ihren Kindern bekommen.